ohne Wurzel - aber immer mit ihr
27. Januar 2011 bis 16. November 2024
Die Trauer legt sich wie ein dunkler, schwerer Umhang über unsere Schultern.
Bleiern fühlt sich alles an und der Umhang scheint schwarz, düster und trist. Und mitten durch den Tränenschleier sehen wir plötzlich, wie es glitzert und leuchtet.
Im Umhang sind ganz zarte, dünne Goldfäden verwoben, die nur sichtbar sind, wenn man gut hinschaut.
Und während wir unseren Trauerumhang näher anschauen, sehen wir auch Goldsternchen, die eingestickt sind und die leuchtenden Herzen – es sind mehr Goldfäden, als wir zuerst
dachten.
Das Gewicht des Umhangs wiegt schwer, aber es fühlt sich oft auch wie eine Umarmung an.
Eingepackt in goldene, glitzernde Erinnerungen versuchen wir nun, den Alltag zu meistern.
Ohne Wurzel, aber doch mit ihr.
Wurzel kam in einer kalten Januarnacht bei dichtem Schneegestöber zur Welt.
Sie wurde in die Hand meiner Freundin Claudia geboren und es war für mich sofort klar:
das ist unsere Wurzel.
Diese Zuversicht war glasklar.
Wurzel zog im April 2011 bei uns ein.
Tuba war erst mässig begeistert. Er fand so einen nervigen Zwerg mehr als unnötig, für ihn war alles perfekt so, wie es war.
Wurzel fand ihn grossartig, von Anfang an und schaffte es dann nach wenigen Wochen, dass Herr Tuba doch zugab: ok, sie ist ganz in Ordnung.
Dass sie wenige Stunden nach Ankunft bei uns schon einen freudigen Hüpfer in den Weiher macht und bei seinem geliebten Stoffhündchen, mit dem er liebevoll seit vier Jahren kuschelte, das Schwänzchen abbiss, quittierte er mit komplet-ter Verständnislosigkeit. Wie kann man sich nur so benehmen?!
Wurzel versprühte enorme Lebensfreude, die Welt gehörte ihr.
Sie liebte die Menschen und die meisten Hunde und war der festen Meinung, alles ist grossartig und wenn es noch nicht grossartig ist, dann wird es das. Ganz im Gegensatz zu Tuba, der doch sehr
sicher war, dass das Leben grundsätzlich gefährlich ist und man am sichersten fährt, wenn man nichts tut.
Wurzel hat ihn oft genug aus seinem Schneckenloch geholt, sie waren das perfekte Team. Wenn sie überbordete, hat er sie angeraunzt. Nicht, dass ihr das gross imponiert hätte, aber sie tat ihm den Gefallen und schaltete einen Gang zurück.
Wurzel hat vielen Menschen das Herz aufgeschlossen – sie hatte den „Spezial-Schlüssel“ dafür. Auch Menschen, die eigentlich gar keine Hunde mögen, konnten ihr nicht widerstehen.
Wurzel war nicht nur optisch einfach eine bildschöne Hündin, auch ihr Wesen bezauberte. Die Gesundheit sowieso. Und so wagten wir das Abenteuer Zucht mit ihr. Der Start war schwierig und mit vielen Komplikationen bestückt, wir haben alle Steine aus dem Weg geräumt und sind unseren Weg gegangen. Störmanöver von ausserhalb konnten uns nicht beirren, wir haben so 2013 den ersten Wurf mit Wurzel bei uns im Chirsgarten aufziehen dürfen.
Wer Wurzel mit ihren Welpen erlebt hat, der weiss, wie sie in ihrer Mutterrolle aufgegangen ist. Eine Mutter ist immer im Dienst, sie machte auch bei den erwachsenen Kindern noch klare Ansagen –
Wurzel war hier die Queen und man hatte sich einzuordnen.
Das war kein Problem: erst der Anschiss, dann die liebevollen Küsse, so läuft das.
Wurzel hat in drei Würfen insgesamt 10 Welpen zur Welt gebracht.
Im A-Wurf Asterix, Amiro, Ambra, Askia, Anta und Amy-Lou, im B-Wurf Bijou und Baila und im C-Wurf Caruso und Candis.
Candis durfte bei uns bleiben. Wurzel war seelig.
Sie hat ihr liebes Wesen und die hohe Verbundenheit mit ihrer Familie allen Kindern, Enkelkindern und Urenkeln weitergegeben.
Tubas Tod im Juni 2019 hat sie tief getroffen und wir waren froh, dass sie mit Candis zusammen so ein gutes Team war. Die beiden konnten einander sehr gut helfen in der ersten akuten Zeit.
An Tubas Geburtstag, am 14. August 2020, zog Bella Alva ein, eine Wurzel Enkelin, unsere Bijou ist Alvas Mutter.
Als wir hier mit Alva ankamen, und Wurzel Alva abschnupperte, glänzten ihre Augen und sie hiess Alva mit einem lauten Wolfsgeheul willkommen. Alva schwante da schon, dass Oma Wurzel keine
„normale“ Oma war.
Wurzel war seelig mit Alva und Candis und wir mit unserem Trio.
Wurzel war Zeit ihres Lebens gesund. Ja gut, wir mussten einmal das Ohr nähen lassen, sie wollte Nachbars Katze aus unserem Garten verscheuchen und das Holz-Gartentor war stärker. Und in den letzten beiden Jahren machten ihr die Analdrüsen zu schaffen und sie hatte drei kleine gutartige Knötchen in der Milchleite, aber alles insgesamt nur Pillepalle.
Sie hatte nie eine schwere Erkrankung, sie lief bis am Schluss freudig, federnd und dynamisch, war präsent und immer mit dabei.
Ab April 2024 machten sich erste Altersanzeichen bemerkbar. Sie hatte drei Monate vorher ihren dreizehnten Geburtstag gefeiert, andere Hunde sind dann schon längst „alt“, nicht aber unsere Wurzel.
Sie war seit dem Frühling ein bisschen langsamer, schlief tiefer und schnarchte so laut, dass Räuber Hotzenplotz beeindruckt gewesen wäre…
Mitte Oktober 2024 kam wie aus dem Nichts eine Erkrankung, die sich innerhalb von Stunden ausbreitete.
Wir wissen nicht, was genau die Ursache war für den Zustand, in den Wurzel innerhalb weniger Stunden katapultiert worden ist.
Sie war fast komplett dement.
Stand in der Zimmerecke, fand nicht mehr heraus, schrie oft, weil sie sich verloren fühlte, lief orientierungslos ihre Runden und kam schlecht in die Ruhe.
Wir waren erschrocken und fanden keine Erklärung. Diagnostisch war nichts zu finden, ein perfektes Blutbild, ein Ultraschall und ein Röntgen ohne Befund und ein Harnstatus mit lauter guten Werten – klinisch war Wurzel gesund, aber die Realität machte uns Angst. Wir gaben uns noch ein paar Tage – hier können wir doch keine Entscheidung treffen?
Der Spuk ging so schnell, wie er kam. Nach sechs Tagen ging‘s Wurzel wie auf Knopfdruck sehr schnell sehr viel besser und wir hatten innert 3 Tagen unsere alte Wunderwutz zurück.
Man ist dankbar und froh und weiss doch, dass man nicht noch unendlich viele Jahre mit ihr hat. Das Alter ist ein Thema, was wir nicht verdrängen, aber man ist doch erleichtert, wenn man nicht täglich daran erinnert wird, dass Wurzel Jahrgang 2011 hat und damit schlicht und einfach doch eher schon im letzten Lebensviertel ist.
Wir hatten noch vier wunderschöne Wochen mit Wurzel.
Am 14. November 2024 kippte ihr Gesundheitszustand wieder.
Langsam kam diese Verwirrtheit zurück, sie verlor auch das Gleichgewicht beim Laufen, ihre Vorderbeine kippten weg oder sie konnte ihre Hinterbeine nicht koordinieren. Eine grosse Unruhe trieb
sie auf ihre Demenz-Rundwanderungen durchs Haus, sie fand keine Entspannung. Ihr Blick war verschleiert, sie erkannte uns teils, teils auch nicht.
Der Freitag war nicht besser und dazu kamen noch ihre Schreie, die zeigten, wie verloren sie sich fühlte.
Körperliche Schmerzen hatte sie keine. Sich aber so verloren zu fühlen, dass man schreit, das sind auch Schmerzen, Schmerzen der Seele. Auch das muss nicht sein. Das ist nicht würdig, das hat sie
nicht verdient.
Nach einer sehr unruhigen, ruhelosen und verwirrten Nacht konnten wir sie am Samstagmorgen, am 16. November 2024, würdevoll und mit viel Liebe gehen lassen.
Sie schlief ganz friedlich ein, es war eine Erlösung. Wir hüllten sie nachher in eine warme Decke und fuhren mit ihr direkt zum Tierkrematorium, wo wir sie in Liebe loslassen durften.
Wurzel kam an einem frühen Wintermorgen zur Welt. Frischer glitzernder Schnee lag wie dicker Puderzucker über dem Grün.
Wurzel machte sich in ihrer letzten Nacht bei klarem Vollmond auf in eine Zwischenwelt und während wir durch eine raureifüberzogene Landschaft zum Tierarzt fuhren, schickte die Sonne ihre kalten Winterstrahlen durch den eisigen Morgen. Die letzten Herbstblätter an den Bäumen leuchteten golden, so golden wir alle Erinnerungen an unsere Wurzel in unseren Herzen sicher lagern.
Ich war bei ihr, als sie zur Welt kam und ich war bei ihr, als sie ging. Sie hatte ein reiches, langes, erfülltes Leben, mit viel Spass und Freude und viel Liebe.
Sie wird im Regenbogenland von Tuba und unseren beiden Katzen Findus und Muckla erwartet und ich bin sicher, sie fetzen zusammen dann über die Wiesen und haben Spass.
Ich hoffe, dass es im Himmel auch Strandläufer-Vögel gibt, die liebte sie. Am Strand in Dänemark kreischte sie vor Freude, wenn diese „fiesen“ Federviecher über den Sand stolzierten. Daheim waren ihr Vögel wurst, in Dänemark flippte sie förmlich aus.
Wunderwutz, wir wünschen Dir viele Strandläufer, Leberwurstkekse à discrétion, Liegeplätze in der Sonne und viel Spass mit Deinen vierbeinigen Freunden.
Wenn Du überbordest, wird Dich Tuba zur Ordnung rufen und Tante Flocke wird auch ihr Regelbuch zücken, so sind wir sicher, dass im Regenbogenland alles geordnet laufen wird. Du wirst Mittel und Wege finden, soviel Unsinn zu machen wie möglich, das ist auch genau richtig so.
Wir sind unendlich traurig, dass Du nicht mehr bei uns bist. Wir lesen auch ganz berührt die vielen Nachrichten von Menschen, denen Du im Leben begegnet bist, oder die Dich kennen von unseren Erzählungen. Du hast in vielen Herzen Deine Pfotenabdrücke hinterlassen, glitzernd, golden und für immer. Je mehr die Zeit passiert, desto mehr werden die goldenen Erinnerungen leuchten. Der dunkle schwere Umhang wird sich verwandeln in ein gemütliches Cape mit viele Wärme, Liebe und Dankbarkeit. Goldene Erinnerungen tragen uns künftig.
Wir haben Dich so lieb, Wunderwutz – wir vergessen Dich nie. Nie. Nie!